Teil 3/4
Eine fast unglaubliche Reise

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Ich wollte schon immer mal 25 Meter hohe Wellen sehen, krächzt Peter und klammert sich an den Handtuchhalter im Chrompfeil.
Nur halt nicht um 2 Uhr nachts auf dem arktischen Ozean, nehme ich an, flüstert Thorsten, der bleich wie der Mond aber aufrecht dem Sturm ins Auge blickt.
Der Weihnachtsmann sitzt derweil jubelnd am Steuer und stößt immer wieder Cowboyschreie aus. Yihaaa, yihaaaa. Das Wellenreiten ist genau nach seinem Geschmack.
Moment mal, können wir nicht einfach tauchen? Dieser Einfall kommt von Thorsten. Schau mal im Handbuch nach, Peter. Peter schaut und tatsächlich, das Ding kann tauchen. Manometer, denken sich alle, außer dem Weihnachtsmann, der gerne noch ein wenig Action gehabt hätte, sich aber dann wegen der sich bedenklich ins Grünliche orientierenden Gesichtsfarbe seiner Reisekapselmitinsassen erweichen lässt und den Tauchmodus anknipst.

Aber auch weit unter der Wasseroberfläche dreht das Gefährt noch fiese Wassersaltos und wird von den Strömungen in alle Richtungen gezerrt.

Es knarzt gewaltig und noch nicht mal der Weihnachtsmann findet das mehr gut.
Auftauchen, ruft er und so kommt es, dass unsere von Übelkeit und Panik erfüllten Freunde wieder an die brüllend laute, aber kaum noch wahrzunehmende Grenze von Wasser und Luft gespült werden und dort von einem Wellenberg zum nächsten schanzen, hoch und runter und wieder hoch und alle an Bord sich sicher sind, dass sie hier mindestens im Bardo oder halt in der Zwischenhölle gelandet sind und dass sie jetzt büßen müssen für heimlich Omas Eierlikör trinken in der dritten Klasse.

Aber es gibt ja nicht nur die Ruhe vor dem Sturm, sondern auch die danach. Ein paar Stunden später liegen die vier Wellenreiter ziemlich verbeult, mit blauen Flecken und geleerten Mägen auf dem Rücken, über ihnen blinkt wie 1000 Diamanten ein Sternenhimmel wie man ihn nur ganz weit weg von allen Lichtquellen zu sehen bekommt und es herrscht absolute Stille.

Fehlt nicht was, fragt Peter?
Was soll fehlen, fragt Thorsten.

Das Summen fehlt, sagt der Weihnachtsmann.
Erschrocken schaut Peter auf die elektronische Datenanzeige im Cockpit und seine Befürchtung wird auf der Stelle als Zettelnachricht in den Raum gedruckt:

Strom ist alle.

Wieso keinen Hybridantrieb, Herrschaften, denkt Münte, zerrt dann mit der Schnauze Peters Bettlakenvorrat in die Kojenmitte und zeigt mit beiden Pfoten, wie der Plan jetzt sein sollte, bis mal wieder Sonne auf die Photovoltaikanlage scheint.
Mensch Münte, du denkst ja mit, sagt Peter, schnappt sich einen Fußnagelknipser, macht Löcher in das Laken und hängt es an einen Besenstiel, von dem keiner weiß, was er hier zu suchen hat, in den Wind.
Alle schauen erwartungsfroh, aber das Bettlakensegel sorgt für keine besonders große Bewegung. Eigentlich: Überhaupt keine.

Am Himmel schieben sich dicke graue Wolken übereinander, es rührt sich kaum ein Lüftchen und mit Sonne ist auch nix.

Der Segelplan war gut, aber nicht gut genug, sagt Thorsten. Jetzt hilft nur noch ein Wal.
Ein was? Peter staunt.
Ein Wal! Den pfeifen wir jetzt mit der Walpfeife her und dann müssen wir ihn irgendwie dazu bringen, dass er uns Huckepack nach Neufundland oder gleich nach New York schwimmt.
Walpfeife? Und wie überredet man einen Wal?
Na, dressieren kann man die ja. Seaworld und so. Vielleicht bekommen wir einen, der schon ein bisschen sozialisiert ist und uns von sich aus hilft.
Walpfeife, sagt Peter, Sachen gibt’s.
Eine Stunde später schwimmen 19 Wale um sie herum und pusten Wasserfontänen in den Himmel. Von Huckepack gehört hat aber bisher scheinbar keiner von ihnen.
So, sagt Thorsten, wir knoten jetzt ein Geschirr zusammen, locken einen der kleineren Wale mit was Leckerem zum Amphibienfahrzeug, werfen ihm das Geschirr über und dann kommt der Karottentrick. Alles klar? Alle nicken und so passiert’s. Es werden ordentlich Krill, Plankton und andere Kleinorganismen in einen Beutel gepackt und der Beutel ins Wasser gehalten, als gerade einer der kleineren Wale vorbei defiliert. Der Wal kommt neugierig herangeschwommen, Thorsten wirft ihm das Geschirr über und hält ihm dann den Planktonbeutel mit einem langen Stab, den der Weihnachtsmann in seinem Geschenkesack gefunden hat, vor die Schnauze. Der Wal schaut ein wenig irritiert und es sieht sehr genau danach aus als würde er das Spiel komplett durchschauen, dann schwimmt er aber trotzdem los und immer dem Kompass nach, den Thorsten fest in der Hand hält.

Das macht ihm Spaß, denkt Münte. Würde mir auch Spaß machen.
Einen ganzen Tag geht das so, dann lichtet sich die Wolkendecke und heraus strahlt das große gelbe Ding. Alle jubeln und Gottfried-Urs, der Wal hatte aus dem Überschwang der Rettung heraus gleich einen Doppelnamen bekommen, darf endlich an den Planktonbeutel, schlägt zum Dank mit der Flosse in die See, obwohl der Dank ja eigentlich ihm gebührt und alle jubeln.

Nicht viel später ruft der Weihnachtsmann Land in Sicht und fühlt sich für einen Moment wie Magellan oder die Wikinger, die ja schon hunderte Jahre vor den ganzen sogenannten Entdeckern hier in der neuen Welt abgehangen haben.

Wir fahren erst mal an Land, dann gibt’s Cappuccino, kanadischen Kartoffelbrei und ein kurzes So-geht’s-weiter-Meeting, entscheidet Thorsten.
Im Club der frühen Vögel werden sie herzlich aufgenommen und vom Feinsten bewirtet. Frisch gestärkt setzen sich alle ins Auto, Peter übernimmt das Steuer und hofft auf ein paar Serpentinen mit Atem raubender Aussicht, aber auf einmal Sirenen, Blaulicht, Pferdewiehern: Ein Trupp der Royal Canadian Mountain Police stellt sich vor, deren Chef einen ähnlichen Schnurrbart wie Peter trägt. Die beiden nicken sich zu, dann kommt der Mountie-Chef gleich raus mit der Sprache:
Könnte es eventuell sein, dass Sie den Weihnachtsmann geklaut haben?
Wir? Peter, Thorsten und Münte sehen sich an? Auf gar keinen Fall. Aus dem Schlafbereich des Amphibienfahrzeugs dringt ein lautes Schnarchen, Thorsten sitzt auf einem roten Mantel mit weißem Kragen, ein brauner Jutesack liegt im Eck und es riecht streng nach Rentier.
Weil, der Weihnachtsmann wurde nämlich als fehlend gemeldet.
Ach, sagt Peter.
Wer schnarcht denn da?
Das ist der Fernseher.
Euer Fernseher schnarcht?
Ja.

Tritt aufs Gas, ruft Thorsten und Peter tritt.
Es folgt eine lange Verfolgungsjagd mit Pferden, Motorbooten, Explosionen und viel Krach, dann ist es wieder still und die Mountie-Meute abgehängt.

Wieso sind wir eigentlich geflüchtet, fragt Peter.
Wir haben den Weihnachtsmann doch gar nicht geklaut? Er ist doch freiwillig bei uns.
Was wissen wir denn über die Gesetze in Neufundland? Vielleicht darf man hier nicht mit dem Weihnachtsmann Richtung Süden fahren. Vielleicht ist das hierzulande eine Gefängnisstrafe wert. Ich will nichts riskieren, sagt Thorsten mit fester Stimme. Nachdenklich fahren die Helden an der Küste entlang und machen immer dann einen Umweg über das Wasser, wenn mal wieder ein Lichtermeer auf die nächste Straßensperre hinweist.

Derweil herrscht Ausnahmezustand in Neustetten. Verdächtige werden befragt, Fingerabdrücke untersucht, Webcams auf schlüssiges Bildmaterial durchkämmt, aber nichts, die Cappuccino-Maschine bleibt verschwunden und vom Täter keine Spur. Natürlich nicht, denn die Maschine reist ja gerade durch Neufundland und umkurvt eine Straßensperre nach der anderen. Seltsamerweise geht jetzt aber die Aufzugtür auf. Alle blicken hin. Da steht eine Dame in einem gelben Overall, auf dem Elektro Remmerle steht. In den Händen hält sie: eine Cappuccino-Maschine.

So ihr Lieben, da habt ihr sie zurück, in der Spritzdüse war ein Klumpen Spekulatius. Wenn ihr das nächste Mal direkt aus der Düse trinkt, schluckt vorher runter.

Dann stellt sie die Maschine auf das Dankeschön-Post-it, ruft laut Servus in die sprachlose Runde und verschwindet im Aufzug.
Die war nur bei der Reparatur? Der große Tankredini, dessen Körper zu zwei Dritteln aus Kaffee besteht und der seit dem Diebstahl aus der Balance geraten war, kann es nicht glauben. Zurecht kann er es nicht glauben, wie wir wissen. Dass wir wissen, dass er es zurecht nicht glauben kann, weiß er aber nicht und so glaubt er zwar, dass er zu Unrecht glaubt, es nicht glauben zu können, hat aber eigentlich Recht. Ein Denkmal für alle, die das nicht verwirrt.
Jedenfalls: Alles lacht und liegt sich weinend vor Freude in den Armen. Dann geht die Aufzugtür wieder auf, die Dame im gelben Overall.
Tschuldigung ihr Lieben, falsches Gebäude, das ist ja gar nicht eure Cappuccino-Maschine. Habt einen herrlichen Tag. Spricht es, nimmt sich die Maschine und verschwindet wieder im Aufzug.
Zurück bleibt ein kollektives aber nicht ausgesprochenes Aber in den Mündern der Belegschaft und lähmendes Entsetzen.

Nochmal geht die Aufzugtür auf. Ein Mensch in kurzen Hosen und Sandalen mit einer Kamera um den Hals tritt ein, schaut sich neugierig um und wirkt begeistert. Finally, ruft er.

Wer bist du denn, fragt Fabi, der Allgäuer Grantler mit dem goldenen Herzen und baut sich vor dem Menschen auf, dessen Augen vor Freude blinken.
Hello, I am Troy from Newfoundland. I wanted to see the heart of netcare.
Er deutet auf seinen Touristenführer und zeigt den verblüfften netcare-Mitarbeitenden die Doppelseite im Lonely Planet, auf der die netcare-Zentrale neben Schloss Neuschwanstein und dem größten Christstollen der Welt auf dem Dresdner Stollenfest als absolutes Must-see empfohlen wird.
Sofort blinken die Augen der Projektmanagement-Legenden Barbara und Patrick, die in Troy ein neues Projekt sehen. Schnell wird der Mann aus dem fernen Kanada überall herumgeführt und dann in der Brauereigaststätte Krone mit bester schwäbischer Hausmannskost bewirtet.
Never ever I’ve been served something this delicious, jubiliert der wirklich sehr höfliche Tourist und alle freuen sich. Die Cappuccino-Maschine ist für den Moment vergessen. Natürlich muss sich Troy etwas Spott über den arg schlichten Namen seiner Heimat anhören. Land neu gefunden, nennen wir es Neufundland, lachen die IT-Yodas Jan und Bobbele, ohne von ihren Smartphones aufzusehen, wo sie weiter an ihrer Heizungs-App bauen, die das Smartphone per Klick so überlasten soll, dass es heiß läuft und damit die Smartphonebesitzenden wärmt. Die Stimmung ist herzlich, irgendwann brennt ein Handy und niemals würde jemand vermuten, dass Peter und Thorsten in genau diesem Moment mit einem bärenfellbraunen Hund, einer wohlbekannten Cappuccino-Maschine und dem Weihnachtsmann in Troys Heimat eine letzte Straßensperre durchbrechen.

Nur noch ein Teil unserer fast unglaublichen Geschichte steht aus und jetzt fragen sich alle: Was wird passieren auf US-amerikanischem Boden? Versemmeln unsere Helden das Finale, oder wendet sich doch alles zum Guten in Chattanooga/Tennessee? Nächsten Montag schließen wir den Tresor auf und veröffentlichen den letzten Teil.